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Drumherum nr. 255075

19/8/00, Karl-Josef Pazzini zum Geburtstag.

Rom - Hamburg. Der Alfa glitt mit hoher Geschwindigkeit durch die Nacht. Augen und Scheinwerfer verschlangen Kilometer um Kilometer der Strada del sole. Im Rückspiegel nur bei gelegentlichem Bremsen ein paar Meter in rötlicher Beleuchtung, sonst Nacht. Nacht zum Sonntag. Kaum ein Laster.

Berlin 1973. In dem institut standen viele leute so herum. Alles die nervösen mit den interessanten gesichtern. Einer fragte, was wir denn wollten, es stünden doch so viele da herum. Der war auch freundlich. Wir sagten, wir kämen wegen der bilder, die wollten wir abholen. Schließlich hatte die dame im sekretariat zeit, weil jemand herumgegangen war und geklatscht hatte: "das seminar fängt jetzt an" und dann gleich nochmal. Sie waren alle plötzlich verschwunden. Auch der Alte Mann mit dem fläschi tai, der die möhre gegessen hatte. Der mußte nämlich das seminar halten. Es war über Balint und auf dem aushang stand "obligatorisch". Vorher hatte er auch noch abgeschätzt, wie schwer die hunde sein könnten. Denn die sollten verschickt werden: "hansi ist so groß" hat er mit der hand gezeigt, in der er nicht die möhre war, und richard ist viel kleiner. Als alle leute weg waren, sagte die dame im sekretariat "wir wollen das doch nicht machen, das mit der ausstellung, die bilder sind uns zu pathologisch, sagte sie, "genau so etwas machen unsere patienten". Pathologisch - das hat sie uns auch erklärt: "sie haben sicher ein sehr gestörtes verhältnis zu ihrer mutter". Wir haben ihr etwas auf den zahn gefühlt, aber sie war ziemlich klug und sagte deshalb nicht viel wo sie nichts von verstand. Den Peter Gorsen hat sie uns empfohlen. Sie selbst liebt magritte ganz einzig. Sie hat auch sehr schön gesagt, dass mögen und besitzen zweierlei schose ist. Denn wir haben sie gefragt, was die dame, die in dem auswahlkomitee den vorsitz innehat, bei sich zu hause zu hängen hat. Das war so alter kram und auch etwas von magischer realität. Sie hatten in dem kommitee über eine stunde über die bilder geredet, es waren drei oder vier leute gewesen, aber sie konnte nicht sagen, was die da gesagt hatten, das könnte sie nicht, also sie war da nicht kompetent. Natürlich hätten sie den anderen die bilder auch gezeigt. "Wem sein patient hat das den gemacht", hätten die alle gesagt, das täten sie sonst eigentlich nicht. Da sind wir schließlich wieder gegangen, weil doch wenig dabei herumgekommen war. "Wegen der pathologischen Formen, wenn sie das trennen möchten, formen und farben, die farben sind es weniger". Musste das getrennt werden, die patientenwelt und unsere? aber das hat sie nicht gesagt, das sage ich jetzt nur. Dann hat einer angerufen: "weshalb sind sie nicht gekommen? so, sie haben verschlafen, das habe ich mir gedacht. Kommen sie dienstag, wie verabredet. Bezahlen müssen sie natürlich, das ist Ihnen ja klar."

"... möchte ich, gestützt auf meine eigenen gruppendynamischen Forschungen und auf meine therapeutische Arbeit mit Künstlern und anderen schöpferischen Persönlichkeiten, meine These vortragen, daß Kreativität nicht auf unterdrückter Sexualität und Agression beruht, nicht auf ein Triebverbot oder eine Sublimierung von Trieben zurückführbar ist, sondern sich im Zusammenhang mit der freien Entfaltung der Sexualität und konstruktiver Agression entwickelt." (Günter Ammon, "Kreativität und Ich-Entwicklung in der Gruppe" in ders., Hg., Gruppendynamik der Kreativität, Berlin, Pinel-Publikationen, 1972, S.6)"

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"Es war in unseres Lebensweges Mitte / Als ich mich fand in einem dunklen Walde; / Denn abgeirrt war ich vom rechten Wege. / Wohl fällt mir schwer, zu schildern diesen Wald, / Der wildverwachsen war und voller Grauen / Und in Erinnerung schon die Furcht erneut: / So schwer, dass Tod zu leiden wenig schlimmer. / Doch um das Heil, das ich dort fand, zu künden, / Will , was ich sonst gesehen, ich berichten." - (Dante, Inferno, 1. Gesang)

"Naja", meinte Durante in seinem pathetischen italienischen Jargon, "auf meiner Höllenfahrt hab ich so einiges gesehen, zum Beispiel wurden die mit der freien Entfaltung der Sexualität von der Windsbraut im Orkan erfasst, fuhren qualvoll umher, stießen immer zusammen und stürzten ab mit Geschrei". Aus Prinzip vermied er Wörter wie Auto- oder Luftverkehr. Aber ich glaube nicht, daß er das Reisen mit dem Auto oder Flugzeug tatsächlich verstanden hat.

In den Mittagsstunden erreichte der Fahrer von Süden kommend die Stadt. Müde, aber nicht unglücklich. Hier war sein Zuhause und so sollte es bleiben.

Isti und Wisti lassen Drachen steigen. Die Sonne scheint, es kringelt und tingelt in der blauen Luft, der rote Ballon Platz ist auch dabei. An der Autostraße stehen Schilder, diese.

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Bilder: Elizabeth Ekman Genf 1971- Berlin 1973 (Aquarelle typisch 15x30 cm, Acryl auf Leinwand typisch 90x90 cm) Text: Klaus Schlüpmann 1973 / 2000

 

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