(s.a. Kunst und Unterricht, Heft 100, Merz
1986, S.26 - ein Versuch, in dem der Verfasser stolpert, sich
durchaus nicht immer zurechtfindet, ausschweigt und über
Schwierigkeiten hinwegmogelt.)
Einsteinbild
und Alter Westen
Bruchstücke
und Mischung - sujets mixtes
(Ein
'sujet mixte', kein eindeutiger Unteran, war Ludwig Bamberger
für Otto Bismarck, weil er nach 1848 ins Exil gegangen war...
nachzulesen bei Gabriele Tergit s.u.)
"Semiotisch",
sagte Asterix, "sind Bilder Text" - "Ja.ja,"
meinte Idefix, "Bilder sprechen dafür und dagegen."
Einsteinjahr
1979: Symbolgestalt und Mensch Albert Einstein kommen vielerorts
zur Sprache,man feiert den Gelehrten und den Intellektuellen,
den Engagierten und den Weisen, eine nicht mehr ganz moderne Wissenschaft,
ein nicht mehr ganz modernes Engagement, eine Lebenseinrichtung
nicht von heute, aber auch nicht von gestern, ein pazifistisches
Manifest von 1914, eine Gestalt der ersten deutschen Republik,
ein entschlossen politisches Verhalten, solidarisch antifaschistisch,
solidarisch jüdisch, ein Russel-Einstein-Manifest von 1955.
Die
Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Max-Planck-Gesellschaft,
die Deutsche Physikalische Gesellschaft, die Gesellschaft Deutscher
Chemiker feiern Albert Einstein, Otto Hahn, Max von Laue, Lise
Meitner.
Umgebung
und Architektur zu dieser besonderen Jubiläumsschau: Berlin,
Foyer der Staatsbibliothek, Architekt Hans Scharoun, gegenüber
die Nationalgalerie, Architekt Mies van der Rohe, gegenüber
die Philharmonie, Hans Scharoun und ebenfalls gegenüber die
Mathäikirche. Die
Werbung zum Ereignis: ein Plakat in Blau und Schwarz und Silber:
ein Horizont, ein Lichtstreif? Dämmerung? Bombe? Sonnenfinsternis?
- Wer weiß: "Apparaturen,
Versuche Dokumente".
Kollage
aus Plakat, Stellwand und Ansichtskarte. "Semiotisch",
sagte Asterix, "ist gegen die Kollage nichts einzuwenden."
- "So," meinte Idefix, - "wo etwa wären
meine Sprechblasen?"
Ein
gemischtes Bild: Naturwissenschaftler, vier, die um einunddasselbe
Jahr 1879 geboren wurden, und die erarbeiten konnten, was gemeinhin
bedeutende Entdeckungen genannt wird. Albert Einsteins einschlägige
Arbeit zur "relativistischen " Bewegung und zur Masse-Energie-Beziehung
datiert von 1905 aus Bern, Otto Hahn und Lise Meitner arbeiteten
gegen Ende der 1930er Jahre in Berlin an der Entdeckung der Kernspaltung
und Max von Laue berechnete 1912 in München die Beugung von
Röntgenstrahlen in Kristallen. "Entdeckungen" also
in ganz unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsperioden und -verhältnissen,
in unterschiedlichem historischem, fachlichem und persönlichem
Kontext.
Tableau:
der Einstein in der Häuslichkeit mit Mileva Maric, die mit
ihm studierte und diskutierte und die Kinder zur Welt brachte,
während mit der Arbeit im Patentamt vorläufig ein Auskommen
gefunden war. - Tableau, wie die anderen später, etablierter
und in den Instituten zum Zug kamen.
Der
eine war für sich und andere ein "Intellektueller",
hatte in der Schule in Aarau für seinen Lehrer, den Linguisten
Jost Winteler ein Ohr, korrespondierte mit Michele Besso, dem
Freund "über Gott und die Welt", hatte keine Scheu,
dem Whig- und Labour-Staatsmann Richard Burdon Haldane den philosophischen
Enthusiasmus für die Relativitätstheorie zu versalzen,
machte sich mit Max Wertheimer Gedanken über den psychologischen
Hintergrund der eigenen "Kreativität". - Die drei
anderen verkörpern andere Typen des "Forschers",
deutlich andere, und unterschiedliche Grade politischer Entschlußfähigkeit.
Keiner von den Gleichaltrigen wurde hundert Jahre alt, sie starben
früher oder später: Albert Einstein 1955 in Princeton,
Max Laue 1960 in Berlin, Otto Hahn 1968 in Göttingen und
Lise Meitner 1968 in Cambridge.
!979
prangen die vier Köpfe auf der Stellwand im preußischen
Kulturbesitz, als ob nichts gewesen wäre: zwei im Profil,
der eine am Fenster, der andere mit Zigarre, zwei frontal, links
der Alte, rechts die Frau, Laue und Meitner mehr im Hintergrund,
Einstein unter den Köpfen gewiß der größte.
Laue Einstein zugewandt - so soll es gewesen sein - Hahn und Meitner
(nach dreißigjähriger Zusammenarbeit) abgewandt - die
Komposition hat ihre und hat keine Bedeutung.
Sie
waren irgendwann Berliner, Einstein bis 1933, Meitner bis 1938,
Hahn bis 1944 und Laue bis er starb.
"Berlin",
sagte Asterix, "das war vor 850 Jahren das Kaff, wo wir
der Nibelungen Hort vergruben." - "Du warst doch
nicht dabei", meinte Idefix.
Im
Lexikon von 1925 heißt es, zum modernen Luftbild passend:
"Der Westen, das Stadtviertel zwischen Tiergarten, Landwehrkanal
und Wannseebahn, ist das vornehmste und teuerste Wohngebiet, das
in der Postdamer Straße alelrdings von einer der belebtesten
Geschäfts- und Verkehrsstraßen durchschnitten wird."
Und Gabriele Tergit läßt den angehenden Bankier Effinger
1884 zu seinem aus dem Südwesten anreisenden Bruder sagen:
"Ich habe dir ein Zimmer im Westen gemietet, das ist jetzt
das Kommende, weißt du."
Links
unten der Landwehrkanal, die Potsdamer Brücke, von dort im
Bogen durchs Bild die Potsdamer Straße, linksseitig Nationalgalerie,
Mathäikirche, Philharmonie, rechtseitig die Staatsbibliothek.
Das
"vornehmste und teuerste Wohngebiet" der zwanziger Jahre,
Teil vom "alten Westen", fand seine literarische Entsprechung.
Um 1930 schrieb Walter Benjamin, daß er in den Fassaden
der Stadt der eigenen Kindheit nicht begegne, - "und die
wenigen, die eine Ausnahme von dieser Regel machen - allen voran
der Mathäikirchplatz - sind vielleicht nur eine scheinbare.
Denn habe ich den abgelegenen Winkel, wo sie steht, wirklich in
meinen Kinderjahren häufiger gesehen, ja auch nur gekannt?
Ich weiß es nicht. Was er mir heute sagt, das dankt er wohl
durchaus und ganz allein dem Bauwerk selbst..."
Ein
abgelegener Winkel oder das Quartier einer Bürgerlichkeit,
das Hauptquartier einer noch immer blühenden oder seit dem
Krieg zerfallenden, bekanntlich nie wirklich starken Bürgerlichkeit
der Kaufleute, Bankiers und Fabrikanten: vielfach jüdisch,
noch oder nicht mehr orthodox oder reformiert, nicht selten konservativ
und national, nicht selten kosmopolitisch, liberal, agnostisch.
Die Schilderung eines Elternhauses, die Hans Sahl in New York
schrieb und 1959 publiziert hat, verweist auf den "Alten
Westen": Georg Kolbe "ging durch die Wilhelmstraße
zum Brandenburger Tor und von dort, am Tiergarten entlang, dem
Westen zu. Ich war diesen Weg oft als Junge gegangen, die Schulmappe
auf dem Rücken und in Begleitung von Franziska Engelhardt,
einem hageren, an Stockschnupfen leidenden, schon etwas lebensmüden
Fräulein ... ja, das war der Weg, den ich mit ihr gegangen
war, wenn sie mich am Mittag von der Schule abholte."
Die
Oppners bei Gabriele Tergit kauften im vorigen Jahrhundert ein
vornehmes Haus in der Bendlerstraße, die neben der Mathäikirche
verläuft und dann heißt es, um 1950 in London geschrieben:"Was
für ein Frühlingstag, dieser Sonnabend im Mai des Jahres
1948! Was für eine Süße, mittags um zwölf
Uhr!... Das Haus, in dem Klärchen und Paul gewohnt hatten,
war nicht mehr zu finden. Die ganze Bendlerstraße war schwer
zu finden... Aber das Haus des Bankiers Meyer, in dem Emanuel
und Selma gewohnt hatten, das war da. Es wirkte wie eine pompejanische
Ausgrabung der zweiten Epoche. Das Souterrain war kaputt, aber
die Säulen standen noch. Die kleine Treppe in die erste Etage
war stehengeblieben und sogar die kleine gewundene Steintreppe
in die zweite. Es stand auch noch eine Nische, die man nie recht
gesehen hatte, vor Samtportieren und Bärengarderobe .. Auch
Theodors Haus stand noch bis zur ersten Etage, die wunderbare
Säulenhalle und die fast zu flache Treppe. Zwischen den Steinen
wuchs Gras und kleine Ahornbäumchen reichten schon fast bis
in Theodors Arbeitszimmer.
Die
Tiergartenstraße, die Via Sacra des christlichen und jüdischen
Reichtums, war wenig befahren ... es war wieder still in der Tiergartenstraße
geworden, wie 1886."
Samtportieren,
Bärengarderoben, Theodors Arbeitszimmer. "Eben ist
mir eingefallen," sagte Idefix, "wo 'ihr' den
Schatz vergraben habt."
Als
wäre nichts gewesen, stehen da heute die Museen. Ein paar
Reliquien wie die Mathäikirche, verweisen nur scheinbar auf
Geschichte: daß die vielgewünschte 'Tradition' uns
mit dem Bewußtsein von Brüchen zu erstreiten wäre,
kann einer, der nicht weiß, nur ahnen.
Luftbild
von 1948, darüber die Köpfe, darüber das Luftbild
von heute: in einer neuen Kollage müßte die 'Dämmerung'
weichen, '48' würde Tag in die Geschichte bringen, die sich
zugetragen: an Ort und Stelle ändert sich nichts, das steingewordene
'abreißbare Bewußtsein' bleibt abgerissen, die Wirtschafts-,
die Denk-, die Lebensgewohnheiten und die gesellschaftlichen Institutionen
wollen fortgesetzt an etwas erinnern, was monumental 'Tradition'
zu schaffen vorgibt und - Architektenzauber - Tatsachen vorspiegelt.
Das Stück Alltag von gestern wird um so mehr Sache der Archivare,
als es sich nicht bruchlos einfügt und auf Konflikte weist,
die virulent geblieben sind. Das einmal ein Alltag vorschwebte,
ein Stück Modernität der Besitzenden, daß man
wer sei und was auf sich hielt, ob jüdisch oder christlich
oder gar nicht konfessionell, weil man produzierte und Geschäfte
machte und eben das 'Kommende' im Auge hatte und auch den 'Schiffbruch'
und die Pleite, während unausgesetzt die Gegenseite ihre
Vergangenheit zur Verteidigung 'ewiger' Verhältnisse und
'Werte' um- und aufzurüsten trachtete, - ist das Sache der
Archivare und der Literaten? So wie die Kompromisse mit dem Gegner
in der Abwehr der Proleten und der 'Radikalen', die damit endeten,
daß man Besitz und Geschäft an ihn verlor und schließlich
dem Terror ausgeliefert war?
Und
die Wissenschaften? Es ist nicht zu verkennen, wie sehr 'Natur-'Wissenschaft
und -Forschung in Gegenständen und in Formen vom Alltag großbürgerlichen
Zusammenlebens und bürgerlicher Auseinandersetzung bestimmt
war - und heute nicht mehr bestimmt sein kann. Aber auch von dem
Ewigkeits- und Wertedenken der anderen Seite war sie durchdrungen.
Das 'Weltbild', der Kompromiß par exellence, ging schließlich
unter, ist heute abgeschmackt: keiner, zumindest keiner der Abgebildeten
verkörpert in gleichem Maß wie Einstein diesen 'Untergang'
und die Verschiebung der Aufmerksamkeit hin zu der Beobachtung,
die ihn wünschen ließ, daß seine Mitbürger
"gute Demokraten" seien und ihn gleichzeitig
zum 'educated gess' führte, daß und warum sie's hierzuland
nicht werden.
Als
ob nichts für mich den einen von den anderen trenne, sind
im preußischen Kulturbesitz die Fotos auf der Stellwand
kollagiert. Wer's nicht weiß, der kann's nur ahnen.
"Na
und", sagte Asterix, "wen interessiert das noch?".
"Mich", meinte Idefix.
Spät
hat er gemeint, er habe sich früher geirrt, als er den Gedanken
vor die Sprache setzte. Er, Albert Einstein, ein 'Weltbild' vor
das gesellschaftliche Leben, das mit der Sprache sich vermittelt.
"Nein",
sagte Asterix, "mit Sprechblasen und Comicstrips, mit
Kino und Glotze." - "Doch nicht im Alltag",
meinte Idefix. "Semitotisch", sagte Asterix,
"ist Alltag noch immer kein Text."
Zwischen
Museen, Philharmonie und Staatsbibliothek erinnert so gut wie
nichts mehr an den Alten Westen. "Hier muß das Haus
meiner Großmutter gestanden haben", sagte Henri
Lehmann bei einem Gang über die Baustellen vor zwei Jahren,
"dort ist der Baum, den ich 1945 gesehen, und hier ist
das Pflaster der alten Straße."
"Wir,
die wir unsere Zeit vertrödelten, / aus begreiflichen Gründen,
/ sind zu Trödlern des Unbegreiflichen geworden. / Unser
bester Kunde ist das / schlechte Gewissen der Nachwelt. / Greift
zu, bedient euch, / Wir sind die Letzten. / fragt uns aus. / Wir
sind zuständig. " schrieb Hans Sahl 1973.